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Diese Stille und diese Freiheit – und diese Stille!

16. Oktober 2014

Die Welt könnte so einfach sein, gäbe es in ihr nur mich und meine große Liebe. Doch leider, leider gibt es da auch noch die anderen Menschen. Die anderen aber, das wissen wir seit Sartre, sind die Hölle. Und also machen sie es einem schwer mit seiner Liebe. Und manchmal sogar unmöglich – zumindest beinahe.

Ich liebe die Berge seit Kindheitstagen. Meine Eltern urlaubten mit mir im Sommer immer in den Bergen, das erste Mal, als ich eineinhalb, das letzte Mal, als ich zehn Jahre zählte. Immer begann der Sommerurlaub gleich: Wir fuhren auf der A8, die Berge rückten näher, erst langsam, dann immer schneller, sie wuchsen, sie türmten sich auf, und schließlich warfen sie ihre Schatten auf die Autobahn – dann waren wir fast schon da. Und wenn wir dann fast schon da waren, dann roch es auch immer gleich: Erst wehte mir noch kurz der Gestank der Papierfabrik bei Hallein in die Nasenschleimhäute, doch bald roch es nach frisch gemähtem Gras, das auf den Wiesen bereitlag, in den Scheunen gelagert zu werden, sobald es trocken genug wäre. Noch heute denke ich sofort an diese Urlaube, sehe ich sofort den Bergbauernhof, „unseren“ Bauernhof vor mir, rieche ich im Sonnenschein trocknendes Gras – und seien es nur die paar Halme, die am Trambahngleis vor meinem Balkon gemäht wurden.

Benediktenwand

Aber mehr als das eben noch lebendige Gras liebte ich die ewig schon toten Berge; ich konnte mich nicht sattsehen an den gigantischen Steinen, die da aufgetürmt wurden von Gott weiß welcher Kraft. Und die da einfach standen. Einfach nur standen. Wenn so ein Berg einfach nur steht, dann ist das so majestetisch, so gewaltig, so unfassbar, daß „einfach nur stehen“ einem als schlechte Tätigkeitsbeschreibung erscheint. Im Angesicht der Berge, da will man eher schreiben: Sie beherrschen die Landschaft, sie erheben sich über die Welt, sie strecken ihre Gipfel gen Himmel, sie recken ihre stolzen Häupter hinauf in die Wolken – aber das ist eitel, das wird den Bergen nicht gerecht. Die Berge stehen einfach nur, mehr haben sie nicht nötig. Den Bergen ist es auch egal, wenn sie pathetisch besungen werden, es ist ihnen gleich, daß ein kleiner Junge ganz ergriffen ist von ihrer reinen Präsenz. Sie sind noch nicht einmal geschmeichelt, wenn der zum Mann gealterte Junge ihnen nun sagt: Ich bin noch immer ergriffen, ich kann mich noch immer nicht sattsehen an Euch, ich kenne nichts Schöneres als Euch, jedes einzelne Mal, das ich Euch sehe.

Nordwand

Ich bin ergriffen von der Schönheit der Berge selbst dann, wenn ich am wahrscheinlich letzten strahlenden Wochenende des Jahres auf einem der Münchner Hausberge herumlaufe – und glaubt mir, das ist nicht ganz so einfach. Denn da laufe ich nicht alleine, und da laufe ich auch nicht nur mit der von mir selbst gewählten Begleitung. Nein, da laufe ich mit halb München zusammen auf dem Berg herum. Denn halb München hat natürlich die gleiche Idee wie ich und will das gute Wetter nutzen, ein letztes Mal für dieses Jahr die Berge zu besuchen. Also muß ich mir meine Berge teilen mit ganz vielen nervigen, weil zu langsamen oder zu schnellen oder zu lauten und zu geschwätzigen Menschen. Wobei ja all diese Leute den Vorteil haben, das ich an ihnen oder sie an mir vorbeiziehen, so daß sie nur kurz störend einwirken auf mich und meine Berge. Da kann ich mir meine Ergriffenheit recht einfach bewahren.

Panorama

Richtig schwierig wird es, wenn einer der Menschen, die mit einem gehen, sich allzu nervig zeigt. Da läuft man dann nebeneinander her, und man genießt die Ruhe um sich herum und natürlich die Aussicht – und dann hebt der Freund neben einem an zu reden: „Ist das nicht großartig? Wie ruhig es hier ist! So toll! Diese Stille und diese Freiheit – und diese Stille! Findest du nicht auch, daß die Ruhe hier einen zu sich selbst finden lässt? Und dieses Gefühl von Freiheit – ist das nicht wahnsinnig schön? Und …“ Zum Glück waren wir, als vor einigen Jahren diese Rede erklang, gerade auf einem breiten Forstweg – sonst wäre ich zum Mörder geworden und hätte dieses Jahr eine Hochzeit weniger besucht. Denn so sehr ich die Berge liebe, ihre Duldsamkeit gegen jede Störung ist mir ein Rätsel – aber man liebt ja öfters mal das, was man nicht versteht.

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