Zum Inhalt springen

Manierlichkeiten

8. Januar 2014

„Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf schütteln müssen,“ so der Freiherr von Knigge zum Mangel an Manieren bei seinen Zeitgenossen. Seither scheinen die Umgangsformen nicht besser geworden zu sein – höchstens komplizierter.

Da erzählte ein Kollege, daß er bei dem immer schon etwas zweifelhaften Vergnügen eines Restaurantbesuchs mit der bis dato unbekannten Verwandtschaft seiner Freundin ein manierliches Problem hatte: Er ging auf’s Klo, ohne sich abzumelden –  und danach wurde er ob dieses unglaublichen Fehlverhaltens grob gescholten. Da bekam ich unter ähnlichen Prämissen in einem mir bis dahin gar nicht vertrautem Haushalt ein Bier angeboten. Und mit dem Bier kam die Frage auf: Glas oder Flasche? Solch eine Frage kann schon ein kleiner Fallstrick sein, von der Antwort kann der erste Eindruck, kann das kaum mehr zu löschende Bild abhängen, das sich da ein anderer von mir macht. Gesellschaftliche Regel ist bei derlei Fragen, sie so zu beantworten, wie man sie für sich selbst nicht beantworten würde, sie mit besseren Manieren aufzulösen, als man sie eigentlich von zuhause mitbekommen hat. Man sage also, auch wenn man immer und immer das Bier aus der Flasche nimmt: Aus dem Glas, bitte. Ich aber sagte: Flasche reicht völlig.

Das sage ich immer. Schuld daran ist mein Vater, der sich in seiner Zeit als auf dem Bau arbeitender Student das Flaschenbier angewöhnte, diese Gewohnheit nimmermehr ablegte und sie seinem Sohn einpflanzte. Bei meinem Vater geht das so weit, daß er schon mal in einem gehobenen Restaurant, wo Glas und Flasche vor ihm stehen, ganz automatisch nach der Flasche greift. Bei mir geht es so weit, daß ich die Frage ganz ohne Nachdenken über jedwede Etikette einfach nur ehrlich mit „Flasche“ beantworten kann. In diesem speziellen Falle übrigens war das glücklicherweise auch die richtige Antwort – aber das weiß man halt vorher nie. Und meist ist es, darauf würde ich wetten, die falsche Antwort, weil wir einander beständig bessere Manieren vorspielen, als wir wirklich besitzen. Aber was sind das eigentlich, gute Manieren?

Zumindest sind sie nichts Beständiges. Niest jemand in der Öffentlichkeit, so wünsche ich ihm „Gesundheit“, denn das, habe ich gelernt, wollen die guten Sitten so. Niest eine bestimmte Kollegin in der Öffentlichkeit, dann bittet sie um Entschuldigung, denn das, behauptet sie, sei inzwischen laut Knigge angebracht, „Gesundheit“ aber möge keiner mehr sagen. Da soll noch einer durchblicken, wenn er nicht ständig die neuesten Auflagen irgendwelcher Benimmratgeber kauft. Und neben der zeitlichen Wandelbarkeit sind die Manieren dann ja auch noch vom Ort abhängig: Im Biergarten ist es guter Ton, sich zu Fremden an den Tisch zu setzen, im feinen Restaurant eher nicht. Fast wäre es da wohl besser, man begäbe sich gar nicht unter Menschen – oder aber man minimierte zumindest die Zahl der potentiellen Fettnäpfchen.

Mein angeheirateter Onkel, ein Offizier von altem Schrot und Korn (hach, das wollte ich immer schon mal schreiben – klischeehafte Verwandtschaft hat was für sich), pflegt aus eben diesen Gründen in seinem Hause eine kulinarische Regel, die bedenkenswert ist: Wird Besuch zum Essen erwartet, gibt es kein Hühnchen (tatsächlich Hühnchen, nicht etwa Hendl, denn er ist kein Bayer). Es gibt deshalb kein Hühnchen, weil er glaubt, daß es dem Gast nicht zumutbar sei, mit dem gebratenen und doch recht kompletten Vogel vor nicht vertrauten Zeugen umzugehen. Darf man die Keule in die Hand nehmen? Kann man das Fleisch von den Knochen nagen und mit den Fingern ablösen? Oder muß man sich mit Messer und Gabel mühen, das Fleisch von den Knochen zu lösen? Und wie sauber müssen die Knochen nach dem Mahle wohl sein? – All das sind Fragen, die durch die Regel meines Onkel Oberstleutnant nicht beantwortet werden brauchen. Fragen, die vor allem tätlich nicht falsch beantwortet werden können.

Nur liegt dem ein tiefes Missverständnis zugrunde: Manieren sind nämlich eigentlich dazu da, uns das Leben leichter zu machen, nicht es einzuschränken oder zu erschweren. Solche Umgangsformen zu schaffen, war auch Ziel jenes berühmten Freiherrn, dessen hervorragendes Buch (das natürlich keiner liest) nur noch unter seinem Zunamen „Knigge“ bekannt ist. Doch damit sie so wirken können, bräuchte es zwei „Kardinalmanieren“ im Umgang mit anderen: Großzügigkeit und Toleranz. Leider sehr selten, die beiden, und leider auch kaum aus Benimmratgebern zu lernen. Lieber beschäftigt man sich da mit dem richtigen Verhalten beim Klogang im Restaurant. Will man es hierbei den Ratgebern recht machen, müsste man übrigens einerseits schweigend aufstehen und gehen, andererseits aber ein kurzes „Entschuldigt mich bitte“ in die Runde werfen.

Beim nächsten Mal sollte der Kollege am besten vor dem Essen fragen, wie man es in dieser Runde im Speziellen mit den Manieren hält – oder aber einfach den Kopf schütteln über die Schritte, die da gegen ihn getan wurden.

One Comment
  1. edik permalink

    Fuer mich der Beitrag des Tages. 😀 Wer sich wegen so kleinen Benimmfehlern so aufregt, benimmt sich selbst viel schlechter.

Hinterlasse einen Kommentar