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Kindermund

24. Juni 2013

Kinder sind vorlaut. Das waren sie schon immer. Denn Kinder sind schwer begeistert, wenn sie den Erwachsenen sagen können, was sie so wissen. Vor allem, wenn die Erwachsenen das gerade gar nicht hören wollen. Was aber Kinder heutzutage zu Erwachsenen sagen, also das geht ja nun mal gar nicht!

Ich saß mit einem Freund beim Bier, es war Sonntagnachmittag so gegen fünf. Wir saßen in der Kneipe, denn zwar war es durchaus warm da draußen, doch regnete es, weshalb es leider auch naß war da draußen. Und also saßen wir drinnen, jedoch direkt am weit geöffneten Fenster, und wir und unsere Biergläser blickten hinaus auf die Straße, und die Straße blickte herein zu uns. Auf der Straße waren ein paar Kinder unterwegs, eines aber war recht vorlaut, und es rief zu uns in die Kneipe: „Bier ist ungesund!“ Ich hatte das Kind nicht verstanden, der Freund jedoch schon, weshalb er zurückrief: „Ja! Aber es schmeckt!“ Was will man auch sonst erwidern, wenn da ein vorlautes Kind daherkommt, und es, kleiner Klugscheißer, der es ist, glaubt, einen darauf hinweisen zu müssen, daß sein aktuelles Tun nicht gerade vernünftig ist? Ich aber dachte bei mir: „Jetzt ist also schon das Trinken dran.“ Vor Jahren nämlich lief ich einmal mit der Zigarette in Mund oder Hand an einer Schule vorbei, es war um die Mittagszeit, die Kinder strömten heraus aus ihrer Anstalt, und natürlich wurde ich von einem besonders vorlauten Exemplar gescholten: „Rauchen ist fei ungesund!“ Ich antworte: „Ja und?“

Warum aber sprechen Kinder solche Sätze zu mir und zu dem Freund? Weil es ihnen von Eltern und Lehrern eingetrichtert wird. Doch warum, meine lieben Eltern und Lehrer, tut Ihr das den Kindern und uns allen an? Warum reicht es Euch heute nicht mehr, den Kinder zu sagen, daß sie noch nicht rauchen und trinken dürfen, weil das eben Dinge sind, die nur Erwachsene dürfen? Und was werdet Ihr den Kindern eintrichtern, wenn dann in naher Zukunft das Trinken ebenso geächtet sein wird, wie jetzt schon das Rauchen? Werdet Ihr Euren Kindern das Schlemmen vermiesen? Werden dann Kinder von der Straße in die Kneipe hineinrufen: „Schweinsbraten ist ungesund“? Und wenn Ihr auch das angerichtet habt, wogegen wendet Ihr Eure Kinder dann? Wahrscheinlich, weil ganz gefährlich, gegen den Sex. Immerhin, da wird dann wohl kaum ein Kind störende Kommentare abgeben können, während man als Erwachsener seinem unvernünftigen Tun frönt. Doch wollt Ihr Eure Kinder wirklich erziehen zu Kreuzrittern wider das Rauchen und das Saufen – und künftig auch gegen Fressen und Hurerei?

Was richtet solch eine Erziehung nur an! Gut, es wird Kinder geben, die werden sich, herangewachsen zu eigenständigen Menschen, trotzdem der ein oder anderen der verpönten Tätigkeiten mit Freuden zuwenden. Als vernünftiger Mensch nämlich sollte man unbedingt zwei bis fünf Laster haben – das entspannt. Doch stellt Euch nur einmal vor, Eure Erziehung zeitigte Wirkung. Die Welt, oder zumindest Deutschland, wäre alsbald bevölkert von aseptischen, missionarisch eifernden Langweilern – also, von noch mehr aseptischen, missionarisch eifernden Langweilern, als es jetzt der Fall ist. Wollt Ihr das wirklich?

Einmal überredete mich die damals fünfjährige Tochter von Freunden auf einer Grillfeier dazu, mit ihr Mikado zu spielen. Ich saß also in ihrem Zimmer auf dem Boden, ich versuchte, einen Stab ganz sachte wegzunehmen, ich wackelte dabei und sprach zu mir: „Ich hab wohl schon zuviel Alkohol dafür.“ Das merkte sich die Kleine, und bei der nächsten Feier wollte sie wieder mit mir spielen, doch vorher sagte sie, vorlaut wie sie war, zu mir: „Trink aber noch ein Bier!“ So geht es auch. Und jenes Mädchen wird einmal eine viel sympathischere Erwachsene werden als jedes Bier-ist-ungesund-Klugscheißer-Kind. Garantiert!

One Comment
  1. Alles was ich lese ist: „Mimimimi ich will nicht, dass mir immer jemand sagt, wie ungesund ich tatsächlich lebe!“
    Wenn man ungesund lebt ist das ok, ich tu’s ja auch. Aber dann muss man auch dazu stehen und dann darüber stehen, wenn einem ein Kind sagt, das Bier trinken eben nicht gesund ist. Das gilt für das Rauchen noch hundertmal mehr. Es hat nichts und rein gar nichts mit Kreuzrittertum zu tun, wenn man einem Kind beibringt, was gut und was schlecht für den Körper ist.

    Meine Güte: Trink, rauch und friss, aber beschwer dich nicht weil dir jemand den Spiegel vorhält. Da unterscheidet sich tatsächlich der Erwachsene von dem Kind.

    Und ja, Schweinsbraten ist auch ungesund. Und macht fett. Das ändert sich auch nicht, nur weil man es ignoriert.

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