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Durch Danubistan. Dritter Teil: Identitätsfragen

4. August 2017

In Passau angekommen, müssen wir kurz verweilen, denn in Passau drängt sich eine Frage auf, die furchtbar verwirrend ist, aber, wenn schon nicht gelöst, so doch diskutiert sein will, wo wir doch eben die Donau entlang radeln wollen:

„Vor zwei Jahrhunderten bemerkte Jacob Scheuchzer auf Seite 30 seiner Hydrographia Helvetiae, daß der Inn in Passau größer, wasserreicher und tiefer sei als die Donau und zudem einen längeren Weg zurückgelegt habe. Doktor Metzger und Doktor Preusmann, die in Fuß Länge und Tiefe der beiden Flüsse gemessen haben, geben ihm recht. Ist also die Donau ein Nebenfluß des Inn, und hat Johann Strauß den Walzer Am schönen blauen Inn komponiert, der überdies mit größerem Recht diese Farbe für sich beanspruchen könnte?“

Die Frage, die in diesem Fall von Claudio Magris in seinem Buch „Donau. Biographie eines Flusses“ (übrigens sehr empfehlenswert, wenn auch nicht dünn) aufgeworfen wird, hat sich wohl jeder schon gestellt, der an der Ortsspitze in Passau saß oder stand oder vorbeischlenderte und dabei auf die Wasser blickte.

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Auch ich stellte sie mir, bis ich von der Photographin abgelenkt wurde, und ich stellte sie mir schon davor des Öfteren; jedes Mal, wenn ich dort war, kam in mir diese Frage hoch. Denn tatsächlich: Der Inn ist hier breiter als die Donau, das sieht man sofort. Außerdem ist er tiefer und führt mehr Wasser von weiter weg heran nach Passau, was man zwar nicht unbedingt sieht, aber durchaus wissen kann. Wieso also heißt der Strom, der sich anschickt, von Passau an durch Österreich zu fließen, dann Donau, wieso gab es keine Inn-Monarchie, deren Länder bis hinab zu den Karpaten durch diesen Strom verbunden wurden?
Magris nimmt zur Rettung der Donau gegen den Inn einen nicht ganz ernst gemeinten Ausweg über die Wahrnehmungspsychologie, die zum Thema beisteuert, daß, „bei einem Zusammenfluß zweier Gewässer als Hauptfluß derjenige angesehen wird, der dort, wo beide Flüsse ineinander übergehen, einen größeren Winkel mit dem daraus entstehenden Strom bildet.“ Man sehe sich das Ganze auf einer Landkarte an: Inn – vereinte Donau: ziemlich genau 180°, Donau – vereinte Donau: in etwa 170°. Bringt also auch mal wieder nichts, die Psychologie.

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Meine Theorie wäre ja, daß wer auch immer einstmals die Flüsse benannte, bei der Frage, ob Donau oder Inn, einfach der Weiblichkeit den Vortritt lassen wollte, weil dies die Höflichkeit halt so gebietet. Und irgendwie würde diese Erklärung ja auch passen zu der Kultur, die sich da von Passau an donauabwärts erstreckt. Zur österreichisch-charmanten Ausformung deutscher Kultur jedenfalls gesellt sich ein weiblicher, dunkler, runder Name wie „Donau“ viel besser als das schneidend direkte „Inn“. Und wer weiß, hätten die Habsburger an diesem männlichen Inn regiert, vielleicht hätten dann ihre Länder mehr Ähnlichkeit mit dem von mannhafter Tugend strotzenden Reich der Hohenzollern gehabt, als uns allen lieb sein kann. Doch zum Glück liegt Wien an der schönen blauen Donau, weil die längst vergessenen Namensgeber höfliche Leute waren!

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Leider aber ist auch meine These ziemlich sicher falsch. Denn schon bei den Römern gab es Donau und Inn (die seither stattgefundenen zahlreichen Lautverschiebungen ignorieren wir an dieser Stelle) – und schon bei den Römern floß der Inn nur bis Passau, ab dort aber hieß das vereinte Wasser eben Donau. Übrigens mündete die Donau damals noch nicht im Schwarzen Meer, denn weit vor der Mündung nannte man den Strom nicht mehr Donau, sondern Ister, was die Römer so von den Griechen gelernt hatten. Aber der Oberlauf bis Einiges hinter Wien, der hieß eben bei den Römern schon Donau. Wie heute. Bis auf einen kleinen, entscheidenden Unterschied: Die Donau war bei den Römern noch ein Kerl. Der Donau also. Nichts mit der Weiblichkeit den Vortritt lassen. Und nun? Nun bleibt nur noch Ratlosigkeit übrig an der Ortsspitze in Passau.
Wir aber fahren jetzt weiter stromabwärts immer an der Donau entlang, die eigentlich der Inn sein müsste.

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