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Die Notwendigkeit der Falten

28. Februar 2011

Eine Freundin trug einmal einen Vorschlag an mich heran, über welches Thema ich hier unbedingt bei Gelegenheit schreiben müsse. Es lag nahe, mir dies Thema vorzuschlagen, denn wir hatten gerade fast den ganzen Abend darüber verhandelt, amüsante Anekdoten, Beider Ansichten dazu in generi und allerlei Erstaunliches darob ausgetauscht. Etwas später, als wir eines Abends schon wieder darauf zu sprechen kamen, wiederholte sie den Vorschlag – geschrieben ist der Text jedoch noch immer nicht. Das liegt nicht daran, daß mir das Thema nicht behagte, bisher fand ich nur einfach keinen Aufhänger, von dem aus sich die Betrachtungen dann mehr oder weniger von selbst ergäben. Dabei ginge es da dann tatsächlich einmal um wirklich schöne Dinge, die herausragendsten Stellen des weiblichen Körpers nämlich, um Dinge, die unzweifelhaft eine genauere Betrachtung lohnten, Dinge, die einlüden, von ihnen zu schwärmen, die es verdienten, gepriesen zu werden. Aber nein, auch jetzt werde ich wieder nicht über die Brüste der Frauen schreiben. Lieber widme ich mich hier und jetzt ihren Falten – und ich möchte wirklich wissen, welcher Teufel mich geritten hat, solch eine Wahl zu treffen!

Einen leisen Verdacht hege ich schon, der Teufel trat mir wohl entgegen in Gestalt einer Bekannten, die sich bei mir ob ihrer Falten unter dem rechten Auge beschwerte, völlig zu unrecht, weshalb es nun gilt, ihr zu widersprechen. Doch auch die Bekannte hat naturgegeben Brüste, noch dazu dergestalt, daß diese bei den Allermeisten den Blick höchst sicher und wirkungsvoll ablenken dürften von den dagegen nun wirklich unbedeutenden Fältchen im Antlitz. Daß ich gerade mit ihr vor dem geistigen Auge darauf verfalle, über Falten zu schreiben, wenn es doch viel Angenehmeres darzustellen gäbe, befremdet mich ein wenig – zurecht, wie ich finde, schließlich bin ich ein Träger von Y-Chromosomen. Ich kann es mir eigentlich nur mit meinem ausgeprägten Widerspruchsreflex erklären, womit dann eben die Bekannte das Thema festgelegt hätte, indem sie sich über ihre Falten beschwerte. Könnte sie nicht lieber mit ihrem Busen unzufrieden sein?

Aber ich füge mich nun der Macht meiner Reflexe, ihnen widerstehen zu wollen, ist mir ja doch nicht gegeben:  Spricht man Frauen, für die das eine eher neue Erfahrung ist, auf ihre Falten an, so kann man schnell eine große, eine verheerende, eine gar schreckliche Wirkung erzielen. Die Dame, der ich leichthin erklärte, mit ihr verhielte es sich wie mit einer antiken Statue, die werde auch erst richtig schön durch die Patina, war glücklicherweise so fassungslos, daß sie für Minuten gar nicht reagieren konnte – sonst wäre sie sicher die zweite Frau in meinem Leben gewesen, mich zu ohrfeigen. Aber ihr Groll hielt dafür dann eine ganze Weile, es war eine gefühlte Ewigkeit abzuwarten, bis mir jener Spruch verziehen wurde, ich musste schmeicheln und schmeicheln, nur um sie dazu zu bewegen, mich überhaupt wieder wahrzunehmen. Dabei trägt der Spruch, einmal davon abgesehen, daß er tatsächlich als gemeiner Scherz gedacht war, schon einiges an Wahrheit in sich.

Das menschliche Gesicht, heißt es immer wieder, sei der Spiegel der Seele. Das stimmt fraglos, zumindest gegen Ende des Daseins, wie ich feststellen durfte, als ich einst eine Reihe von Portraits alter Menschen betrachtete, die im Rahmen der Facharbeit einer Schulkameradin entstanden waren. Alten Menschen ist ihr Charakter, ihre Geschichte, ihr Leben eingekerbt ins Gesicht; bei alten Menschen kann man das Gesicht lesen wie eine Landkarte, und man entnimmt der Karte die Verortung und Befindlichkeit der Seele. Bei Kindern und Jugendlichen hingegen kann man wenig bis nichts aus dem Gesicht herauslesen, dazu ist es noch zu glatt, zu ungeformt, zu langweilig – entsprechend dem noch deutlich unbestimmten Charakter. Bei Frauen, deren Falten ihnen noch Ärgernis weil neu und überraschend sind, liegt ihr Wesen auf dem Gesicht auf wie eine flüchtig hingeworfene Skizze, noch scheint keiner der Striche endgültig, und doch ist da schon Leben auf dem Antlitz hängengeblieben, hat dort seine Spuren hinterlassen und spielt auf der noch als glatt und makellos erahnbaren Oberfläche mit seinen Kräften und Kontrasten. Wenn die alten Griechen recht hatten (und sie hatten meistens recht), dann bedarf alle Schönheit der Formung, aber auch des leichten Spiels. So sie aber recht hatten, dann sind die Gesichter solcher Frauen, die Gesichter so rund um die Dreißig das Schönste, was der Mensch sein kann. Und wehe, meine Damen, Ihr versucht, gegen die Zeitläufte zu kämpfen, Eure Erscheinung kann nur darunter leiden!

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